Tag 1

 

Kyrill folgte seinem Chef und blickte sich gespannt um. Er war schon lange nicht mehr hier gewesen, aber es hatte sich kaum etwas verändert. Die Ausstattung des Wohnzimmers trug noch immer Luanas Handschrift. Sie hatte Kontraste geliebt, helle Böden und Wände, Gemälde mit Farbexplosionen und Möbel in dunklen Farben.

 

„Machen Sie es sich bequem, Kyrill“, sagte Robaine. Der Sekretär berührte im Vorbeigehen eine apfelgrüne Bodenvase, ihre Oberfläche war samtig.

Robaine trat an eine Kommode aus Walnussholz und stellte die Weinflasche ab. Er sinniert über die letzte Lese, vermutete Kyrill. Wein war die große Passion des Protektors und nur ein Planetenbeben hätte ihn jetzt aus seinen Gedanken reißen können. Sonst hätte er ihm bestimmt einen Platz zugewiesen.

 

Kyrill blieb unschlüssig stehen, sah auf den Rücken des Protektors und dann auf die bordeauxrote Sofalandschaft, die sich vor ihm wie ein mäanderndes Flussdelta ausbreitete. Schließlich entschied sich Kyrill für einen ausladenden Sessel und setzte sich. Er sank tief in die Kissen, seine spitzen Knie ragten weit über seinen Kopf. Die Knöchel seiner Hände traten weiß hervor, als er die Lehnen fest umklammerte und sich mühsam hochkämpfte. Er unterdrückte ein Ächzen, musste jedoch tiefer atmen, als er endlich wieder stand. Ratlos schaute er sich um. Die Möbel boten Möglichkeiten für alle erdenklichen Liege- und Sitzpositionen. Kyrill fehlte der Überblick.

 

Robaine öffnete eine Schublade und kramte darin.

„Habe ich Ihnen eigentlich schon davon erzählt, dass ich eine Anfrage zu unserem Wein erhalten habe?“, fragte er seinen Sekretär und entfernte die Folie um den Flaschenhals.

 

„Nein, Herr Barr, das ist mir neu.“ Kyrill drückte mit zwei Händen auf eine andere Sitzfläche, sie gab unerwartet nach und er fiel vornüber. Die Hände tief in der Sitzmulde, bremste sein Kopf den Sturz an der Rückenlehne. Kyrill ging in die Knie, machte den Rücken lang und verlagerte seinen Schwerpunkt nach hinten. Es gelang ihm, sich aufzurichten. Er begann zu schwitzen.

 

„Ganz ernsthaft. Ich hielt es zuerst auch für einen Scherz. Es hätte zu Konsul Weberbärs süffisantem Humor gepasst.“ Robaine drehte die Spirale des Korkenziehers in den Verschluss.

 

„Konsul Weberbär also?“, hakte Kyrill nach. Er zog die Augenbrauen zusammen musterte eine weitere Sitzfläche. Mit nur einer Hand testete er sie. Mit der anderen hielt er sich zur Sicherheit an der Armlehne fest.

 

„Ja, genau der. Er wollte unbedingt zwei Dutzend Flaschen unseres Weines haben. Anscheinend gilt es als chic und unglaublich dekadent, Wein aus Bat’klan zu trinken. Passt zu dem alten Angeber.“ Robaine schüttelte den Kopf. Er zog den Korken aus dem Flaschenhals.

 

„Er ist bekannt für seine rauschenden Feste. Es soll immer recht opulent dort zugehen“, erwiderte Kyrill und setzte sich ganz langsam. Mit beiden Händen hielt er sich an den Armlehnen fest und ließ sein Körpergewicht nur langsam auf den Sitz sinken. Erst als er sicher war, dass diesmal der Kopf höher bleiben würde, als der Rest des Körpers, löste er den Griff. Mit Bedacht lehnte er seinen Oberkörper an die Lehne und seufzte leise auf. Er saß. Bequem und mit der Möglichkeit, sich würdevoll erheben zu können.

 

Robaine Barr drehte sich um. In den Händen hielt er zwei gefüllte Weingläser. Eines reichte er Kyrill, der vorsichtig den zarten Stil des Glases umfasste. „Danke schön“, sagte er und schnupperte am Bouquet.

 

Robaine ließ sich in die Tiefen des Sessels sinken, aus dem Kyrill sich kurz zuvor gekämpft hatte. „Ah, ist das ein Genuss! Wie eine Umarmung“, erklärte er und schloss die Augen.